Wo immer man hinfährt, die Wehrmacht war schon da

Am kommenden Wochenende werde ich eine mehrtägige Exkursion auf die estnische Insel Hiiumaa unternehmen.

Bei der Vorbereitung der Reise auf diese dünn besiedelte, naturbelassene Insel am nordöstlichen Rand Europas bin ich auf das folgende Video gestoßen, das den Angriff und die Besetzung der Insel (dort mit ihrem schwedischen Namen „Dagö“ bezeichnet) durch das Deutsche Reich im Jahr 1941 zeigt.

Egal wie weit man sich in Europa (und selbst in Nordafrika) geographisch von Deutschland weg begibt, unsere Großväter waren schon erobernd, plündernd und mordend da gewesen. Wenn man als Deutscher Urlaub machen möchte, ohne auf die Opfer der Expansions- und Völkermordpolitik der eigenen Vorfahren zu stoßen, muss man schon um die halbe Welt fliegen.

Über Andreas Moser

I am a lawyer in Germany, with a focus on international family law, migration and citizenship law, as well as constitutional law. My other interests include long walks, train rides, hitchhiking, history, and writing stories.
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11 Antworten zu Wo immer man hinfährt, die Wehrmacht war schon da

  1. Christoph schreibt:

    Ein gutes Beispiel für ‚embedded journalism‘ dieser kleine Film. Und Propaganda zugleich.

  2. Thomas schreibt:

    Bitte, lieber Herr Moser, bevor Sie eine solche Aussage über unsere Großväter auf der Insel Hiiumaa verbreiten, machen Sie sich vor Ort schlau, recherchieren ordentlich und kommentieren danach. Wir kennen seit mehr als 20 Jahre Estland, die Menschen in Estland und ihre Aussagen zur Kriegszeit, ganz besonders, was die Inseln Hiiumaa und Saaremaa betrifft. Mordend und plündernd sind unsere Großväter nicht über die Inseln gezogen. Von den Menschen auf den Inseln haben wir erfahren, dass sie z.B. Häuser aufbauten, die durch Kriegshandlungen zerstört wurden. Eine weitere Familie nennt heute noch ein Zimmer in ihrem Haus das „deutsche Zimmer“, weil dort während des Krieges junge deutsche Soldaten untergebracht waren und sie wie ein Teil der Familie behandelt wurden. Eine alte Frau bezeichnete unsere Großväter als äußerst akurate junge Männer. Haben Sie bei Ihrem Aufenthalt auf Hiiumaa oder Saaremaa einmal gefragt, wie russische Soldaten in Erinnerung geblieben sind? Damit möchten wir nicht Handlungen der Nazi-Deutschen in anderen Ländern, an anderen Orten entschuldigen!! Aber bitte keine Pauschalierungen!

    • Andreas Moser schreibt:

      Nach meiner Rückkehr von der übrigens bezaubernden Insel Hiiumaa kann ich bestätigen, daß die dort lebenden Esten sich eher über die sowjetischen als über die deutschen Soldaten negativ äußern. Ich denke aber, daß man diese Erkenntnis mit den folgenden Einschränkungen aufnehmen muß:
      – Uns als Deutschen gegenüber werden Leute seltener etwas Negatives über Deutschland (auch das der Vergangenheit) sagen als gegenüber Nicht-Deutschen.
      – Diejenigen, die von der Wehrmacht auf Hiiumaa bei der Eroberung und Besatzung der Insel getötet wurden, sind naturgemäß nicht mehr in der Lage, sich zu äußern.
      – Angepaßte Mitläufer hatten es unter den Nazis leichter als Intellektuelle und Freidenker, ganz zu schweigen von Juden, Sinti, Roma, Slawen u.s.w.
      – Ein erheblicher Teil der Bevölkerung der estnischen Inseln hat skandinavische Namen, die für deutsche Ohren deutsch klingen, so daß die lokale Bevölkerung von der rassistisch motivierten Klaseneinteilung der Nazis profitierte weil sie sich in der als überlebenswert eingestuften nordischen, arischen Rasse wiederfand.
      – Die deutsche Besatzung dauerte nur sehr kurz. Die anschließenede sowjetische Besatzung dauerte Jahrzehnte und ist deshalb natürlich noch viel frischer im Gedächtnis. Die letzten beiden Generationen haben gar keine Erinnerung an die deutsche Besatzung. Ich habe den Eindruck, daß dies zur nachträglichen Verklärung führt.

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  4. Anonymous schreibt:

    Nicht alle Großväter waren freiwillig dort. Meiner jedenfalls nicht. Daher sind solche Verallgemeinerungen sehr gefährlich.

    • Andreas Moser schreibt:

      Man darf aber auch nicht alles glauben, was die Großväter Jahrzehnte später erzählen.

      Und natürlich gibt es eine Menge Abstufungen zwischen freiwillig & begeistert auf der einen Extremseite und aus dem KZ zwangsrekrutiert auf der anderen Extremseite.
      Und dann gibt’s noch mehr Abstufungen innerhalb des Einsatzes. Manche machten begeistert mit, manche machten gedankenlos mit, manche machten aus Gruppendruck mit, andere aus Gleichgültigkeit, und ganz wenige leisteten (Rettungs-)Widerstand, begingen Fahnenflucht oder schlossen sich den Partisanen an.
      Noch komplizierter wird das Ganze im zeitlichen Verlauf. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs war die Begeisterung größer als nach Stalingrad. Und wem ein Bein amputiert werden musste, der hat dann vielleicht auch selbst „vergessen“, dass er einst den Nazis zugejubelt und von einem deutsch dominierten Europa geträumt hatte.

      Aber wir können zum Glück nichts für unsere Großeltern; sonst würde man ja verrückt werden in diesem Land.

    • Andreas Moser schreibt:

      Danke übrigens auch deshalb für den Kommentar, weil dieser mich daran erinnert hat, das Video zu aktualisieren.
      Es ist jetzt wieder online, aber natürlich weiß niemand, für wie lange.

  5. Anonymous schreibt:

    Sehr geehrter Herr Moser,

    mMn haben Sie eine sehr einseitige Sicht auf die Geschichte.

    1. Gerade uns als Deutschen schlagen in manchen Ländern immer noch Vorurteile wegen unser Herkunft entgegen; waren Sie schon mal in Rotterdam oder Coventry? Sie sind dort heute noch nicht wirklich willkommen, wenn Sie sich als Deutscher outen.
    2. Können Sie Ihre Nachweise vorlegen bezüglich „plündernd und mordend“ auf der Insel?
    3. Sie argumentieren einerseits damit, dass die Besatzungszeit ja nur kurz gedauert hat, im Vergleich zur Besetzung durch die SU, andererseits sagen sie aber, dass die letzten beiden Generationen ja gar keine Erinnerungen mehr haben (können?). Mit wem haben Sie dann gesprochen? Mit der Gernation, die beides erlebt hat, und es vergleichen kann?
    4. Wie weit zurück in der Geschichte sollen wir gehen, um die Geschichte der Insel oder auch des finnischen Meerbusens oder auch Europas abzubilden? Veränderungen wurden in der Geschichte immer mit Gewalt durchgeführt.
    5. Haben Sie selbst gedient? Ich habe gedient, und ich habe gelernt, dass man Kameraden nicht im Stich lässt. Und wir können nicht mal was für unsere Eltern, geschweige denn für unsere Urhoch5-Großeltern.
    • Andreas Moser schreibt:

      Zu 1:

      Ich war leider noch nie in Rotterdam oder Coventry. Aber beispielsweise in Antwerpen, das von deutschen Bomben/Raketen ähnlich zerstört wurde. Man wird da auch im Stadtbild immer wieder darauf hingewiesen, aber ich habe wirklich nicht gemerkt, dass irgendjemand mich als Deutschen deshalb anders behandelt. Ganz im Gegenteil, eine Familie aus Antwerpen vertraute mir für zwei Wochen ihr Häuschen und ihre Katze an.

      Vielleicht liegt es am Alter (Jahrgang 1975) oder daran, dass ich von selbst offen damit umgehe, dass die Deutschen historisch ziemlich viel Unheil angerichtet haben, aber ich hatte eigentlich noch kaum persönliche Probleme damit. Nicht einmal in Israel, wenn ich Menschen begegnet bin, deren ganze Familie von Deutschen ermordet wurde.

      Die einzige Ausnahme war vielleicht Polen. Aber auch da war es nicht wirklich böse oder abweisend, aber die Polinnen und Polen wollten mir halt erzählen, dass ihre Großeltern von Deutschen ermordet wurden. Da habe ich schon so ein Gefühl verspürt, dass das von uns nicht ausreichend anerkannt wird (auch weil die Polen dann oft auf eine Opferkonkurrenz zu Juden hinauswollten).

      Ansonsten bin ich als Deutscher eigentlich bloß in Griechenland während der Finanzkrise ein bisschen geschnitten worden. Das war natürlich absurd, denn ich war ja genauso arm wie ein Grieche. (-:

      Ach ja, und während meiner Zeit in Italien gab es einen antideutschen Wahlkampf: https://andreas-moser.blog/2014/04/11/europei-non-tedeschi/ , aber das hat sich nicht in der Stimmung der Bevölkerung niedergeschlagen.

      Mein Vater hat mir mal erzählt, dass er in Norwegen als Deutscher mit offensichtlicher Kälte behandelt wurde, aber das war noch in den 1970er oder 80er Jahren. Und er läuft auch immer mit schweren Stiefeln und Messer herum, das ist ja klar, dass das Erinnerungen an die Wehrmacht weckt.

    • Andreas Moser schreibt:

      Zu 5:

      Ich habe nicht behauptet, dass man Verantwortung für seine Vorfahren hat.

      Aber ich finde es halt komisch, wie frisch und fröhlich die Deutschen schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in die Länder fuhren, wo sie (oder ihre Eltern) kurz zuvor Völkermorde durchgeführt haben.

      Bei der Wehrmacht war ich nicht, aber man kann Loyalität auch falsch verstehen. Wenn man sich schon von seinen Eltern distanzieren will, muss man erst recht nicht jedes Verbrechen gutheißen, das Menschen ausüben, die mal die gleiche oder eine ähnliche Uniform trugen.

      Ich selbst war, auch wenn das mit Estland nichts zu tun hat, als Jurist bei der US-Armee und fast bei der Fremdenlegion.

    • Andreas Moser schreibt:

      Zu 2:

      Ich gehe doch davon aus, dass ich hier noch noch einmal auf den deutschen Angriffskrieg und die Völkermorde und Kriegsverbrechen hinweisen muss?

      Auf dem Weg nach Hiiumaa kommt man zB an Klooga vorbei, wo man inmitten eines jetzt friedlichen Waldes eine Gedenkstätte besuchen kann: https://www.visitestonia.com/de/das-konzentrationslager-klooga-und-die-holocaust-gedenkstatte

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